ad acta

ein Film von Antje Hubert und Olga Schell
Beta SP, 85 Min., Farbe, D 2002
Produktion: Peter Stockhaus Filmproduktion

“Manchmal ist es einfach ein Wort, an dem man hängen bleibt und man fragt sich, was ist da
eigentlich passiert, warum ist derjenige hier in der Klinik, und warum hat der plötzlich Fieber?”

Eine Restauratorin stellt alte Patientenakten wieder her, ihre Gedanken bei der Arbeit ziehen sich wie ein roter Faden durch den Film. Die Akten haben den Krieg und die Zeit danach in Stasi-Beständen überlebt und sind 1990 ins Bundesarchiv gekommen. Bruchstückhaft geben sie Auskunft über das Schicksal von 30.000 Menschen, die den Mordaktionen in den Psychiatrien während der Zeit des Nationalsozialismus zum Opfer fielen. Der letzte Eintrag in jeder Akte: „Verlegt nach unbekannt“.

Die systematische Tötung von pflegebedürftigen Menschen war Teil eines eugenischen Programms, das vom NS-Regime fest in das damalige Gesundheits- und Sozialsystem eingebettet wurde. Vom medizinischen Personal, Jurist:innen, Fürsorger:innen und Behörden wurde es ideologisch mitgetragen und perfektioniert. Es begann mit massenhaften Zwangssterilisationen von als “erbkrank und minderwertig” degradierten Männern und Frauen, die oft noch Jugendliche waren. Grundlage war das “Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses” von 1933. Und es endete mit der Ermordung von ca. 300.000 Kindern und Erwachsenen in den Heil- und Pflegeanstalten. Die Täter:innen durften sich auch nach 1945 im Recht fühlen, die meisten wurden nie zur Verantwortung gezogen. Zwangsterilisationen wurden zwar 1988 vor allem durch das Engagement von Betroffenen als Unrecht anerkannt. Doch Entschädigungen flossen nur spärlich, und die Gleichstellung mit anderen NS-Verfolgten ist bei heute nicht erfolgt.

Der Film rekonstruiert dieses Kapitel der deutschen Geschichte anhand der Erinnerungen von sechs Menschen, die vom damaligen Gesundheitssystem erfasst wurden und überlebt haben. Sie erzählen von ihrem vergeblichen Kampf um Anerkennung als NS-Opfer, von ihrem Protest gegen die fortwährende Stigmatisierung und sie lassen uns teilhaben an dem schmerzhaften Prozess, die eigene Geschichte aus alten Akten wieder hervorzuholen, damit sie nicht vergessen wird.

Eugenisches Denken wurde im 19. Jahrhundert aus dem Sozialdarwinismus entwickelt und propagierte, dass man die „Degeneration eines Volkes“ verhindern müsse durch z.B. Sterilisation, Selektion und Vernichtung „lebensunwerten Lebens“. Es verbreitete sich in Deutschland vor allem nach dem 1. Weltkrieg, in dessen Folge zusätzlich ökonomische Argumente salonfähig wurden.
1933 erklärten die Nationalsozialisten die „Rassenhygiene“ zum Staatsziel und entwickelten ein eugenisches Programm, das in das damalige Sozial- und Gesundheitssystem eingebettet wurde. Grundlage war das “Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses”, eines der ersten Gesetze, die das NS-Regime verabschiedet hat. Menschen mit geistiger Behinderung oder psychischen Krankheiten waren nun dem eugenischen Eifer von Medizinern und Behörden ausgeliefert. Die Diagnose “erbkrank“ wurde ebenso widersprüchlich wie leichtfertig in Krankenakten gestempelt, der Begriff wurde ausgedehnt bis hin zum “moralischen Schwachsinn”, um auf diese Weise auch als asozial denunzierte Menschen verfolgen zu können. Hunderttausende wurden zunächst stigmatisiert und zwangssterilisiert.
Zwangsterilisierte wurden, wenn sie nicht in eine Anstalt gezwungen wurden, in ein Leben entlassen, in dem sie keine Schule oder Hochschule besuchen und keine „erbgesunden“ Partner heiraten durften.
Zwischen 1939 und 1945 wurden dann unter dem Vorwand der „Euthanasie“ in Heil- und Pflegeanstalten im Deutschen Reich ca. 200.000 Kinder und Erwachsene systematisch ermordet, darunter mehr als 70.000 Kinder und Erwachsene, die in eigens dafür eingerichteten Tötungsanstalten von Ärzten vergast wurden. Weitere 100.000 Patienten wurden in psychiatrischen Einrichtungen in den besetzten Gebieten ermordet.

Nach 1945 wurden Zwangssterilisierte aus der Gruppe der NS-Verfolgten ausgeschlossen, die Mehrzahl der an den Tötungen beteiligten Ärzte wurde nie zur Rechenschaft gezogen. Erst 1988 wurden – vor allem durch das Engagement der Betroffenen – Zwangssterilisationen als Unrecht anerkannt, doch Entschädigungen flossen nur spärlich und die Gleichstellung mit NS-Verfolgten blieb aus.